Kurzbiographie
Lynn war eine junge Frau, die nicht zum Leben geboren wurde. Als Klon der Straßendiebin Elly fristete sie in einer Welt ihr Dasein, die sie nur als Ersatzteillager sah. Eine Firma, die auf ihr Produkt achten wollte, war ihr Zuhause. In einer Zukunft, in der Prothesen aus Schönheitsgründen angelegt werden und junge Mädchen von ihren Eltern Klone als Lebensversicherung geschenkt bekommen. Lynn war so eine Lebensversicherung. Als Ellies Eltern starben behielt das junge Mädchen ihren Klon trotz aller Armut, besuchte sie einmal die Woche in einer Art Erinnerungsritual. Eine andere Verbindung zur Außenwelt hatte Lynn nicht. Für sie war "das andere Ufer" (die Fabrik stand an einem Fluss) immer etwas Fremdes und Unbegreifliches. Jeden Morgen bekam Lynn ihre Medikamente, denn als Klon durfte sie nicht zu klaren Verstandes werden. Man wollte keinen Aufstand riskieren. Doch hinter dem verklärten Blick der jungen Frau mit der schneeweißen Haut schlief ein Verstand, der alles begriff, es aber nicht in Worte fassen konnte. Lynn konnte was sie sah nie in Worte fassen, doch sah sie tiefer als jeder andere. Die Arbeiter der Fabrik liebten sie, denn sie berührte die Herzen aller.
Doch ein Herz berührte sie ganz besonders: Juan von Hohenberg, ein Reporter den Elly zur Aufklärung auf die Länder der Firma schmuggelte, baute bald eine immer engere Beziehung zu ihr auf. Juan erzählte Lynn von der anderen Seite - und sie füllte diese mit ihrem Zauber. Es war die schönste Zeit im Leben beider, ohne dass sie bemerkten, dass sich Elly gleichzeitig immer mehr von Lynn entfernte.
Umstände des Todes
Als Elly zunehmend das Geld ausging und Lynn sich mehr für Juan interessierte als für sie, entschied sie sich endgültig dafür, sie zu verkaufen. Ein Interessent war schnell gefunden: Liam, ein junger Künstler hatte großes Interesse an Lynn - teilweise zumindest.
Um genau zu sein interessierte Liam Lynns Haut - denn diese war von einer betörenden Reinheit und Schönheit.
Nach Liams Kauf wurde ein Lieferdatum verabredet und die Klonfirma versprach, die unangenehme Arbeit selbst zu erledigen - der Kunde ist schließlich König und soll sich nicht die Hände schmutzig machen. Also wurde ein Tag festgelegt, an dem man Lynn die tödliche Dosis Gift verabreichen würde - ganz hautschonend natürlich. Ohne viel Blut oder Schmutz.
Juan erfuhr im letzten Moment davon und versuchte in einem Himmelfahrtskommando Lynn zu befreien - er schaffte es auf das Firmengelände, konnte auch Lynn erreichen, aber die Polizei trennte die beiden wieder. Noch während Juan überwältigt wird erhält Lynn ihre letzte Injektion.
Würdigung
Schwanenprinzessin. So nannte er dich. Der Mann, dem ich niemals verzeihen kann. Einst einer meiner Lieblinge konnte ich Liams Art, dich zu sehen, nie verkraften. Nicht, weil ich ein Problem damit habe, wenn meine Charaktere sich gegenseitig ans Leben wollen - das passiert fast immer - sondern weil du es warst. Schwanenprinzessin ... er hat dich verkannt. Du warst kein Schwan. Deine elegante Art, deine reine Haut, nur das konnte er sehen. Ich kannte dich besser. Besser als jeder, tiefer noch als Juan, sah ich in deine Seele. Lynn ... ein Name wie ein Windhauch. So zart habe ich mich dich immer vorgestellt. Als könntest du die Arme ausbreiten und davonfliegen. So sehr habe ich es mir gewünscht, du könntest es. Lynn ... weiseste der Weisen. Deine Sicht auf die Welt war so klar. So einfach und doch so wundervoll.
Die Augen eines Kindes waren dir geschenkt und die Geduld einer alten Frau. In deiner kindlichen Art, die Dinge zu benennen hast du stets mehr Wahrheit ausgesprochen als ich in tausend blumigen Worten. Du sahst die Welt, wie sie war und nahmst sie an. Dich, dein Schicksal, alles. Lynn ... kleiner Schmetterling. Lange hast du nicht tanzen dürfen. Unbeschwert war dein Flug nie. Aber dein Lächeln, das Funkeln deiner Augen ... ich habe es gespürt. Mit jedem Wort, das ich schrieb. Du hast mehr getan, als Juan Hoffnung zu schenken. Mehr, als den Leser zu begeistern. Du warst das Licht dieses Buches, der helle Stern. wenn ich heute an einem Fluss stehe, dann kniee ich mich manchmal an sein Ufer und suche nach den Kieselsteinen, die dir wertvoller waren als Perlen. In jedem einzelnen sahst du etwas Anderes, etwas Wertvolles. Und ein wenig von dem, wie du die Welt sahst, ist in mir geblieben.
Kleiner Schmetterling ... du hast mich mit deinen Flügeln berührt und jeden, der dir nah war verzaubert. Deinen Blick hast du der Welt geschenkt und dein Atem liegt manchmal noch in ihr, wenn die Sonne auf dem Fluss Sterne malt. Ich höre deine Stimme, wenn der Wind mit meinen Haaren spielt, wie sie lacht, und darin einen Zauberteppich sieht.
Ich wünsche dir, mein Schmetterlingskind, dass du nun fliegen kannst - über alle Grenzen hinweg auf dem Rücken einer silbernen Sternschnuppe.
Rolle des Autors
Als ich »Mosaik« schrieb wusste ich, dass ich eine Leitfigur brauchen würde, die für all das steht, woran meine Hauptfigur Juan aufgehört hette zu glauben. Sie sollte aber auch für das stehen, was diese Welt, die ich entworfen hatte, verleugnete. In dieser Rolle war von Anfang an klar, dass Lynn würde sterben müssen, wenn ich die dystopische Aussage des Buches aufrecht erhalten wollte. Der Leser musste spüren, was Lynn war, was sie in sich trug - und dass es in einer solchen Welt nur zerstört werden konnte. Ich verurteilte Lynn zum Tod, als ich sie zum Leben erweckte. So wie ich Liam manchmal nicht ausstehen konnte, weil er ihren Tod herbeiführte, wusste ich selbst doch immer, dass ich und ich allein Lynns Mörder bin.
Ich habe viele Charaktere umgebracht. Sehr viele. Es gibt fast kein Buch von mir, in dem nicht jemand stirbt. Meistens meine eigenen Lieblinge. Fast alle Tode haben mich berührt. Doch dieser Tod ist der eine, den ich noch immer nicht in Gänze lesen kann. Der mich für mehrere Stunden lähmte, als ich ihn geschrieben habe. Lynn war ein Charakter, denn ich trotz des Wissens, dass sie sterben würde, mehr ins Herz geschlossen hatte als irgendeinen zuvor. Ihre sanfte, geduldige Art die Welt zu sehen ... ihr kindlicher Blick, in allem ein Wunder zu erkennen. Alles war nur dafür da, Juan und den Leser zu verzaubern und dann genau diesem Zauber zu berauben. Die Taktik fand ihr erstes Opfer bei mir. Bei keinem anderen Charakter zuvor habe ich so deutlich gespürt, in voller Tragweite der Mörder zu sein - nicht nur eines Charakters - eines ganzen Lebens. Lynn hatte so wenig und sie hat so viel daraus gemacht. Ich habe ihr alles andere genommen - sie lebte damit, voller Freude, voller Stärke. Der einzige Charakter, den ich nie gebrochen habe - auch im Tod nicht.
Rechtfertigung
Gibt es eine? Kann es eine Rechtfertigung dafür geben, einem Charakter so viel zu nehmen und ihn dann auch noch umzubringen? Normalerweise nicht. Der Grund, weswegen ich Lynn dennoch umgebracht habe? Das gesamte Buch hätte seine Aussage verloren, seinen stärksten Aufhänger, hätte ich es nicht getan. Alles zielte auf diesen einen Tod ab, auf die Vernichtung des Charakters, der alles verinnerlichte, was diese Welt nicht mehr war. Sie, der einzige Charakter des ganzen Buches, der absolut nichts für seine Situation konnte, nichts falsch machte, nicht ambivalent war, sondern ausschließlich Opfer, Unschuld ... Kind. Es gab keinen Platz für Lynn in dieser Welt.
Ich könnte noch plottechnische Gründe anführen - das Juan zu weich, zu zahm geworden wäre mit lynn an seiner Seite - oder dass sie viel zu sehr und viel zu lange unter Medikamenten stand, um ein Leben außerhalb der Firma führen zu können, dass es also besser so war. Aber das ist scheinheilig. Lynn war der Stern in der Dunkelheit in einer Dystopie. Um die volle Aussage des Buches, die volle Warnung vor einer solchen Entwicklung zu entfalten, musste ich ihn auslöschen. Das macht es nicht besser.