Sie lächelte und wie zuvor spürte Shem, daß die Kraft die alte Frau verließ. Shaha richtete sich mühevoll etwas auf und sprach nun zu den anderen, als eine letzte Ermahnung.
»Seht euer neues Orakel. Sie wird den Platz einnehmen, den ich nun verlasse. Sie wird euch Rat erteilen, eure Kranken heilen und den Nebelfürsten besänftigen. Seht euer neues Orakel.«
Als hätte dies ihre letzte Kraft verbraucht, sank Shaha in sich zusammen und ihre Hand, die immer noch in Shems lag, zitterte vor Schwäche. Trotzdem schaffte sie es noch einmal, etwas zu flüstern. »Suren tevo, iagan tevoen.«
Doch bevor Shem noch fragen konnte, was dies bedeuten sollte, verließ Shaha sie. Wie in einem Traumbild sah sie, wie das Leben aus Shaha verschwand und nur eine leere Hülle übrig ließ.
aus: »Flüsternde Steine« von Monica Manhillen
Lebensdaten
Name: Shaha
Todesdatum: 06.11.2007
Todesursache:Altersschwäche
Alter zum Zeitpunkt des Todes: unbekannt, vermutlich um die 70
War es Mord? Nein
Kurzbiographie
Die genauen Hintergründe zu Shaha kannte niemand in dem kleinen Dorf, in dem sie nach langen Jahren des Wirkens als Orakel ihre Augen für immer schloß. Tatsache ist, daß sie vor langen Jahren aus dem fernen Süden kam, mit nicht mehr Besitz, als der Kleidung an ihrem Leib, einem silbernen Dolch und einem Beutel, in dem sie einige Habseligkeiten aufbewahrte. Sie brachte bisher unbekanntes Wissen ins Dorf und mehr als einer seiner Bewohner verdankte ihr das (Über-)Leben, sei es durch ihre Heilfähigkeiten oder ihre Kenntnisse als Hebamme. Zeit ihres Lebens schwieg sie über ihre Vergangenheit, aber es gab Gerüchte, daß sie im Süden als weise Frau hohes Ansehen genoß, bis sie durch einen unbekannten Schicksalsschlag in Ungnade fiel und in die Verbannung ging.
Umstände des Todes
Shaha ist eine alte Frau, die die letzten Jahren ihres Lebens in einem Dämmerzustand verbrachte und dem Tod eher gelassen begegnet. Sie stirbt, nachdem sie ihre verbleibende Kraft an ihre junge Nachfolgerin als Orakel des Dorfes weitergegeben hat. Zurückbleibt ein alter Körper, der seine Schuldigkeit getan hat und dessen Lebensfunke erloschen ist. Shahas Tod sollte ein leiser Tod sein, wie man ihn sich vielleicht selber wünschen würde. Kein qualvoller Kampf um die letzten Atemzüge, sondern ein sanftes Hinübergleiten in den langen Schlaf.
Würdigung
Die Rolle, die Shaha in ihrer Existenz zugedacht war, hat sie voll und ganz erfüllt. Im Leben wie im Sterben bewahrte sie sich eine mysteriöse Aura, der keiner widerstehen konnte. Sie war eine wichtige Persönlichkeit im Dorf und auch wenn sich eine Nachfolgerin für das Orakel gefunden hat, wird Shaha eine Lücke hinterlassen, die nicht leicht zu füllen ist.
Rolle des Autors
Shaha war ein Charakter, der mich nicht lange begleitete, da sie bereits im ersten Kapitel stirbt. Aber nichtsdestotrotz war sie jemand, der eine Menge Arbeit erforderte. Shaha gab ihre Vergangenheit nur zögerlich preis und es kostete einiges an Überredung, bis sie bereit war, mir etwas über sich zu verraten.
Mein schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen, schließlich wurde dieser Charakter erschaffen, um zu sterben.
Rechtfertigung
Es war wichtig, daß Shem ins kalte Wasser geworfen wird, wenn die einzige Person stirbt, die ihr als Mentor hätte zur Seite stehen können. Das Shem erst in diesem Moment erkennt, welche Bedeutung Shaha wirklich hatte, ist ein wunderbar theatralischer Kunstgriff, den ich einfach nicht auslassen konnte.