Als das Sonnenblut in ihren Mund lief, streifte nur ein leises Prickeln ihren Hals und wuchs weiter in ihre Glieder. Und tatsächlich schien es ihr, als fielen die Schatten über ihrem Gemüt aus ihrem Gedächtnis und aus ihrer Zeit. Am Horizont blinzelte ein Licht, und der Wind kitzelte ihre Wange. Am Ende war ihr, als glitte sie in einen leichten Schlaf, in weiche Kissen. Hinter ihr wurde die Spieluhr langsamer und warf ihre letzten Töne wie kleine Perlen in die Stille.
aus: »Rückkehr - Ein langer Weg nach Nirgendwo« von Anika Beer und Sophie Hollmann
Lebensdaten
Name: Natalia von Aynet
Todesdatum: März 2007
Todesursache: Selbstmord durch Gift
Alter zum Zeitpunkt des Todes: 20 Jahre
War es Mord? Sie dachte zumindest, es wäre ihre eigene Entscheidung …
Kurzbiographie
Natalia wurde als jüngstes Kind König Eglaf von Aynets geboren. Ihre Mutter Ana starb bei ihrer Geburt. Natalia hatte sechs ältere Brüder, eigentlich also keine Aussicht darauf jemals einen Anspruch auf den Thron zu haben. In den Wirren des Krieges jedoch starben fünf ihrer Brüder. Der sechste verschwand spurlos. Und so wurde Natalia von ihrem sechsten Lebensjahr an als Thronerbin erzogen. Sie wuchs mit der ständigen Bedrohung ihres Landes durch den mächtigeren Nachbarn Gorniac auf und war immer bereit alles zu tun, um Aynets Unabhängigkeit zu bewahren. Als König Morgart von Gorniac ihr einen Heiratsantrag machte, lehnte sie daher vehement ab.
Ein alter, recht wahnsinniger Geist jedoch sah sie als Mittel zum Zweck, um einen irrsinnigen Plan von Einigkeit und Frieden durchzusetzen. Um das zu erreichen, schlich sich dieser Geist in den Palast ein, ließ ihren Vater langsam dahinsiechen und drang immer weiter in Natalias Gedanken ein, bis sie nicht mehr wusste, was ihr eigener Wille war. Und so heiratete sie schließlich dennoch den verfeindeten Monarchen. Ihre Ehe währte nur kurz, denn König Morgart wurde bald darauf ermordet. Als aber auch der Geist besiegt wurde und Natalias Wille wieder ihr eigener war, erkannte sie was sie getan hatte. Das Wissen, dass sie all ihre Prinzipien über Bord geworfen hatte, konnte sie schließlich nicht mehr ertragen.
Umstände des Todes
Natalia schloss sich in ihren Gemächern ein und hörte eine Weile einer alten Spieluhr aus Kindertagen zu. Dann schließlich schluckte sie das Sonnenblut, eine hochwirksame Droge, mit der sie ihrem Vater zu ein wenig Kraft hatte verhelfen wollen. Da das Mittel in großer Menge allerdigs tödlich ist und außerdem sehr schnell wirkt, war ihr Ableben nicht das unangenehmste, das man sich vorstellen kann. Am Ende war ihre Leiche wahrscheinlich nicht einmal hässlich anzusehen. Für eine Königin hat sie ein wirklich würdiges Ende gefunden.
Würdigung
Natalia von Aynet lebte für ihr Land. Und obwohl sie selbst in jungen Jahren schon sehr unter dem Tod ihrer Brüder und der schweren Bürde der Verantwortung litt, gab sie niemals auf. Durch Krankheit ihres Vaters übernahm sie sehr früh große politische Verantwortung. Viele wären vielleicht daran gescheitert, aber nicht Natalia. Ohne sie wäre die Geschichte nie zu dem Ende gekommen, zu dem sie gekommen ist. Ohne jemanden, der fähig war, so viel Leid zu tragen, hätte alles viel düsterer geendet. Sie fand Frieden im Tod. Frieden und Freiheit, beides etwas, das sie nie zuvor besessen hat. Vermutlich also ist sie selbst mit ihrem Ende am aller glücklichsten.
Rolle des Autors
Natalia wurde lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelt. Sie war einfach nur die 'Zicke vom Dienst'. Aber mit der Umstrukturierung des ganzen Romans gewann sie pötzlich sympathische Züge, und ich begann langsam, sie zu verstehen. Sie hatte es wirklich, wirklich schwer. Und ich hatte fortwährend die schlimmsten Gewissensbisse, dass wir sie für den Plot so leiden lassen mussten.
Rechtfertigung
Natalia war Königin, als sie starb. Aber das Land brauchte einen Kalifen anstelle des Kalifen - und nun, ich denke es ihr Tod ist das einzige charaktergerechte Ende. Und obwohl ich vor dieser Szene etwas Bange hatte, am Ende ist sie doch so schön geworden, dass ihr Tod tatsächlich recht romantisch ist - obwohl keine Liebelei im Spiel war. Aber, wie schon erwähnt, Natalia ist jetzt freier, als sie es jemals war. Und so verbleibe ich, verdrücke mir eine Träne und muss etwas traurig lächeln.